Forenthema: Gesundheitsvorsorge – Prävention – Krankheiten
Forentitel: Chronische Schmerzen
Beitrag: Fibromyalgie - und kein Ausweg?
Autor Frage an den Experten
Herr Finni vom 16.04.2018 13:43 Uhr

Hallo,

ich habe mich hier angemeldet in der Hoffnung eine Antwort zu bekommen. Seit bald zwei Jahren habe ich die Diagnose Fibromyalgie. Meine Lebensqualität hat sich seitdem extrem gemindert. Ich besuche regelmäßig meine physik. Therapie und auch die Krankengymnastik.

Leider ist die Medikamentierung bisher kein Stück weit erfolgreich, probiert wurden schon Amitriptylin und Tropisetron, inzwischen bekomme ich Pregabalin - nichts hilft! Ich leide im Alltag unter Schmerzen in den Gliedern und vielen weiteren Symptomen. Vielleicht kann mir hier jemand weiterhelfen? Was kann ich noch tun? Welche Mittel hätten bessere Erfolgschancen? 

Vielen Dank schon einmal

Herr Dr. med. Werner G. Gehring Antwort vom 16.04.2018 17:29 Uhr

Sehr geehrter Herr Finni, 

ich gehe davon aus, dass bei Ihnen die Diagnose Fibromyalgie auf Grundlage der American College of Rheumatology festgelegten Kriterien erfolgte?

Beachte: Bei einer Nachuntersuchung von Patienten mit der Diagnose "Fibromyalgie" entsprachen nur knapp 40 % der Diagnosen den vom American College of Rheumatology festgelegten Kriterien, d. h. die Diagnose "Fibromyalgie" wird möglicherweise zu häufig gestellt [2]. Hinweis: Die Studie war mit einer Teilnehmerzahl von insgesamt nur 56 zu klein, um daraus allgemeingültige Schlussfolgerungen ziehen zu können.

In Anlage das was ein Patient dazu aus dem DocMedicus Expertensystem wissen sollte.

Ich hoffe, Ihnen damit ein Paar Tipps gegeben zu haben.

Mit freundlichen Grüßen

Ihr Dr. med. Werner G. Gehring

Allgemeine Maßnahmen

  • Nikotinrestriktion (Verzicht auf Tabakkonsum)
  • Normalgewicht anstreben! 
    Bestimmung des BMI (Body Mass Index, Körpermassen-Index) bzw. der Körperzusammensetzung mittels der elektrischen Impedanzanalyse und ggf. Teilnahme an einem ärztlich betreuten Abnehmprogramm
  • Ggf. Steigerung der körperlichen Aktivität!
  • Vermeidung psychosozialer Belastungen:
    • Stress

Ernährungsmedizin

  • Ernährungsberatung auf der Grundlage einer Ernährungsanalyse
  • Ernährungsempfehlungen gemäß einem Mischköstler unter Berücksichtigung der vorliegenden Erkrankung. Das bedeutet u. a.:
    • täglich 5 Portionen frisches Gemüse (ca. 400 g) und Obst (ca. 250 g)
    • ein- bis zweimal pro Woche frischen Seefisch, d. h. fette Meeresfische (Omega-3-Fettsäuren) wie Lachs, Hering, Makrele
    • ballaststoffreiche Ernährung (Vollkornprodukte, Gemüse)
  • Beachtung folgender spezieller Ernährungsempfehlungen:
    • Ernährung reich an:
      • Vitamine (Vitamin D)
      • Mineralstoffe (Magnesium)
      • Vitaminoide (Coenzym Q10)
  • Auswahl geeigneter Lebensmittel auf Grundlage der Ernährungsanalyse
  • Siehe auch unter "Therapie mit Mikronährstoffen (Vitalstoffe)" – ggf. Einnahme eines geeigneten Nahrungsergänzungsmittels
  • Detaillierte Informationen zur Ernährungsmedizin erhalten Sie von uns.

Physikalische Therapie (inkl. Physiotherapie)

  • Krankengymnastik/ Bewegungstherapie
  • Massagetherapien [2]
    • Bindegewebsmassage – kann Depression mindern und Lebensqualität verbessern
    • manuelle Lymphdrainage – geeignet bei Steifheit und Depression; kann Lebensqualität verbessern
  • Haltungsschulung
  • Funktionstraining (Trocken- und Wassergymnastik) soll zweimal pro Woche (mindestens 30 Minuten) eingesetzt werden (AWMF-Leitlinie: starke Empfehlung, starker Konsens) [4]
  • Thermotherapie
    • Wärme* – Thermalbäder sollten eingesetzt werden. Evidenz liegt vor für eine Häufigkeit von fünfmal pro Woche über zwei bis drei Wochen (Leitlinie: Empfehlung, starker Konsens) [4]
    • Kältetherapie
  • Elektrotherapie
  • Thermalbäder

*Langzeittherapie!

Verhaltenstherapie

  • Zur Aufarbeitung belastender psychischer Zustände und bestehender psychischer Erkrankungen wie Depressionen.
  • Operant-verhaltenstherapeutische Behandlung (OVT)
    Indikationen: wenn ausgeprägtes Schmerzverhalten und physische Beeinträchtigungen vorliegen, die Krankheit "katastrophisiert" wird, häufige Arztbesuche vorkommen und der Ehepartner stark mitleidet.
    Ergebnis einer Studie [1]: Ein Jahr nach dem Ende der Therapie hatten 53,5 % in der OVT-Gruppe versus 45,2 % in der kognitiv-verhaltenstherapeutischen Behandlung (KVT), eine Schmerzreduktion um mindestens 50 % und 58,1 % versus 38,1 % einen Abbau der durch die Schmerzen hervorgerufenen Beeinträchtigungen um mehr als 50 %. Kontrollgruppe: Schmerzintensitätsabnahme nur 5 %.

Psychotherapie

Eine psychotherapeutische Behandlung beim FMS wird bei folgenden klinischen Konstellationen beim Erwachsenen empfohlen (AWMF-Leitlinie FMS) [4]:

  • Maladaptive Krankheitsbewältigung (z. B. Katastrophisieren, unangemessenes körperliches Vermeidungsverhalten bzw. dysfunktionale Durchhaltestrategien) und/oder
  • Relevante Modulation der Beschwerden durch Alltagsstress und/oder interpersonelle Probleme und/ oder
  • Komorbide psychische Störungen

Folgende Verfahren werden empfohlen [4]:

  • Entspannungsverfahren in Kombination mit aerobem Training (multimodale Therapie) sollen eingesetzt werden (Leitlinie: starke Empfehlung, starker Konsens)
  • Meditative Bewegungstherapie (Tai-Chi, Qi-Gong, Yoga) (Leitlinie: starke Empfehlung)
  • Biofeedback kann angewendet werden (Leitlinie: offene Empfehlung, starker Konsens)
  • Hypnose/geleitete Imagination kann eingesetzt werden (Leitlinie: offene Empfehlung, starker Konsens)
  • Kognitive Verhaltenstherapie (KVT) (Leitlinie: starke Empfehlung)

Empfohlen wird eine multimodale Therapie, d.h. mindestens ein körperlich aktivierendes Verfahren und zudem mindestens ein psychotherapeutisches Verfahren, z. B. Entspannungsverfahren oder kognitive Verhaltenstherapie kombiniert mit aeroben Training.

Detaillierte Informationen zur Psychosomatik (inkl. Stressmanagement) erhalten Sie von uns. 

Sport

  • Kreislauftraining* (Cardiotraining; areobes Ausdauertraining [5]), mit geringer bis mittlerer Intensität (z. B. schnelles Spazierengehen, Fahrradfahren, Walking bzw. Ergometertraining); soll dauerhaft zwei- bis dreimal pro Woche über mindestens 30 Minuten durchgeführt werden; Patienten, die dadurch eine Besserung erfahren, sollen dieses dauerhaft durchführen
  • Muskeltraining/Krafttraining* [5]; geringe bis mäßige Intensität (Leitlinie: starke Empfehlung) [4]
  • Funktionstraining (Trocken- und Wassergymnastik, zweimal pro Woche über mindestens 30 Minuten) (Leitlinie: starke Empfehlung) [4]
  • Stretching* (Dehnungs- und Flexibilitätstraining kann erwogen werden. Evidenz liegt vor für eine Trainingshäufigkeit von zwei- bis dreimal 60 Minuten pro Woche (Leitlinie: Empfehlung: offen, starker Konsens) [4]
  • Detaillierte Informationen zur Sportmedizin erhalten Sie von uns.

*Langzeittherapie

Komplementäre Behandlungsmethoden

  • Akupunktur: Der zeitlich befristete Einsatz von Akupunktur kann erwogen werden (Leitlinie: Empfehlungsgrad offen, starker Konsens) [4]
    Eine wöchentliche Akupunktur hat in einer randomisierten Studie die Beschwer­den von Patienten mit Fibromyalgie-Syndrom gelindert. Kontrollgruppe waren Patienten mit einer Scheinbehandlung, bei der die Nadeln nicht durch die Haut gestochen wurden [3]. 
  • Meditative Bewegungstherapien (Tai-Chi, Qi-Gong, Yoga, Leitlinie: starke Empfehlung, starker Konsens) [4]
  • Medizinische Hypnose: Eine Verhaltenstherapie mit Hypnose oder geführter Imagination kann gemäß einer Metaanalyse Schmerzen und psychischen Stress reduzieren und auch den Nachtschlaf verbessern [6].

Organisationen und Selbsthilfegruppen

  • Deutsche Fibromyalgie Selbsthilfe (DFS) e. V.
    Sonnenweg 9, 49324 Melle
    Telefon: 05422-3456, E-Mail: info@d-f-s.de, Internet: www.d-f-s.de
  • Fibromyalgie-Liga Deutschland e. V.
    Oberheydener Str. 71, 41236 Mönchengladbach
    Internet: www.fibromyalgie-liga.de
  • Bundesweite Arbeitsgemeinschaft Fibromyalgie, Zusammenschluss freier Selbsthilfegruppen und Ansprechpartner für Fibromyalgie – Betroffene, Mitglied der Fibromyalgie Interessengemeinschaft
    Wittelsbachstr. 16, 40629 Düsseldorf
    Telefon: 0211-66 07 99, Internet: www.fibromyalgie-arbeitsgemeinschaft.de

Falls Sie sich zu weiteren möglichen Therapiemaßnahmen informieren möchten, geben Sie in die Suche des DocMedicus Gesundheitsportals die jeweilige Krankheit ein und klicken auf "Enter". Das Ergebnis der Suche ist u. a. eine Trefferliste zur Kategorie "Therapie".

Literatur

  1. Thieme K, Turk DC, Flor H: Responder criteria for operant and cognitive-behavioral treatment of fibromyalgia syndrome. Arthritis Rheum. 2007 Jun 15;57(5):830-6
  2. Susan Lee King Yuan, Luciana Akemi Matsutani, Amélia Pasqual Marques: Effectiveness of different styles of massage therapy in fibromyalgia: A systematic review and meta-analysis. Manual Therapy, Published Online: October 04, 2014 DOI: http://dx.doi.org/10.1016/j.math.2014.09.003
  3. Vas J. et al.: Acupuncture for fibromyalgia in primary care: a randomised controlled trial. Acupunct Med doi:10.1136/acupmed-2015-01095
  4. S3-Leitlinie: Definition, Pathophysiologie, Diagnostik und Therapie des Fibromyalgiesyndroms. (AWMF-Registernummer: 145-004), März 2017 Kurzfassung Langfassung
  5. Macfarlane GJ et al.: EULAR revised recommendations for the management of fibromyalgia. earch ARD Online First, published on July 4, 2016 as 10.1136/annrheumdis-2016-209724
  6. Zech N et al.: Efficacy, acceptability and safety of guided imagery/hypnosis in fibromyalgia – A systematic review and meta-analysis of randomized controlled trials. Eur J Pain 2016; online 29. November; doi: 10.1002/ejp.933
Herr Finni Antwort vom 17.04.2018 13:28 Uhr

Sehr geehrter Herr Dr. Gehring,

vielen Dank für ihre ausführliche Antwort. Viele der Punkte halte ich schon ein. Raucher war ich noch nie. Gesunde Ernährung ist für mich selbstverständlich, dafür habe ich auch mehrmals Termine mit Ernährungsberatern besucht. Auch Wärmebehandlungen finden regelmäßig statt. Was die körperliche Aktivität angeht bin ich sehr bemüht, regelmäßige Spaziergänge und Übungen, zudem zweimal die Woche schwimmen. Leider machen die Schmerzen weiterhin große Probleme oder verunmöglichen es mir bisweilen aktiv zu werden. Tai-Chi habe ich schon einmal überlegt zu besuchen, danke für den Tipp, ich werde mich um eine Anmeldung bemühen.

Auch Akupunktur habe ich schon versucht, leider mit keinem Effekt. 

Was die Stressvermeidung angeht, das ist so eine Sache. Insbesondere die Krankheit Fibromyalgie und das damit verbundene Leiden bereiten mir viel Stress, der Alltag verkommt oft zu einer Qual. Ich denke Ihren Vorschlag mit den Selbsthilfegruppen werde ich auch wahrnehmen, bisher fühle ich mich mit meiner Erkrankung sehr alleine. 

Eine Frage hätte ich noch: Ich habe vor kurzem auf einer englischsprachigen Webseite einen Beitrag zum Thema Fibromyalgie gelesen, dabei war von einer Studie die Rede die zum Ergebnis hatte, dass medizinisches Cannabis äußerst gute Ergebnisse in der Symptomminderung bei Fibromyalgie besitzt. Leider finde ich im deutschsprachigen Bereich kaum etwas dazu, lediglich dieser Artikel der die Behandlung von Fibromyalgie mit Cannabis als Medizin als Therapie-Option aufgreift. Wie schätzen Sie das ein? Ist das eine denkbare Option im medikamentösen Bereich? 

Herr Dr. med. Werner G. Gehring Antwort vom 17.04.2018 16:15 Uhr

Sehr geehrter Herr Finni, 

Nach den Qualitätskriterien der EBM liegen bislang keine ausreichende Evidenz für Cannabinoide vor bei:

Appetitverlust bei Krebserkrankungen und HIV/Aids
Fibromyalgie-Syndrom
Morbus Crohn
Musculus Genitale Schmerzen
rheumatoide Arthritis
chronische Pankreatitis
Tumorschmerzen

Mit freundlichen Grüßen
Ihr Dr. Werner G. Gehring

PS: Senden Sie mir bitte in einer Email an info@docmedicusverlag.de Ihre Kontaktdaten, dann kann ich Ihnen noch einen persönlichen Rat geben, der nicht für die Öffentlichkeit bestimmt ist.

Herr Finni Antwort vom 18.04.2018 11:27 Uhr

Vielen Dank für ihre Einschätzung Herr Dr. Gehring. Eine Mail habe ich Ihnen geschrieben, vielen Dank für ihre Mühen und ihr Engagement! 

Weitere Informationen zu diesem Thema finden Sie im DocMedicus Gesundheitsportal unter
Chronische Schmerzen

Experten aller Facharztrichtungen beantworten Ihnen kostenfrei und auf Wunsch auch anonym Ihre persönlichen Fragen.

Beachten Sie bitte, dass der Expertenrat nicht den Arztbesuch ersetzt. Gehen Sie in akuten Krankheitsfällen bitte immer sofort zu Ihrem Arzt.


Die Experten, die Sie ehrenamtlich beraten, sind Mitglieder des wissenschaftlichen Beirates der Deutschen Gesellschaft für Nährstoffmedizin und Prävention (DGNP) e. V.

Sie setzen in ihrer Arztpraxis das DocMedicus Arzt- und Patienteninformationssystem ein.